LITERATURWISSENSCHAFT

Mitteleuropäische Literaturen als Forschungsfeld der interkulturellen Hermeneutik

Karl VAJDA

János Selye Universität

 

Der Eröffnungsvortrag der literaturwissenschaftlichen Sektion führt teils in die Begrifflichkeit, teils in die Forschungslage der interkulturellen Hermeneutik spezifisch im Zusammenhang der Literaturen Mittel-Europas als interkulturell besonders vielfältiger Region des abendländischen Kulturkreises ein. Im Vordergrund stehen dabei literarische Erscheinungen, die sich aus der intellektuellen Begegnung mit Problemen der Migration ergeben, sei die Rede von kollektiver oder individueller, freiwilliger oder geschichtlich erzwungener Migration. Bei der Herausarbeitung des Migrationsbegriffes werden auch Dimensionen dieses Jedermannwortes beleuchtet, die zu den sozialen Zusammenhängen menschlicher Mobilität gehören, und eine Typologisierung interkultureller Orts-, Sprachen und Kulturwechsel ermöglichen. Zur Behandlung kommen dabei sowohl Fragen der Identität als komplexen wandelnden Vorgangs der Identifikation als auch die Rolle der Literatur als identitäts- und verständnisfördernde Kraft menschlicher Kultur.

 

Sprachwechsel und Kulturwechsel dargestellt an Eva Hoffmans Memoiren Lost in Translation

Naděžda HEINRICHOVÁ

Universität Hradec Králové

 

Am Beispiel der Memoiren der polnischen Schriftstellerin jüdischer Herkunft Eva Hoffman “Lost in Translation. Ankommen in der Fremde” wird der Prozess von Sprach- und Kulturwechsel dargestellt. Veranschaulicht werden dabei die Strategien, sich in einer neuen und fremden Welt mit Hilfe der Aneignung einer Fremdsprache zurechtzufinden. Verdeutlicht wird dabei die Beteiligung der Sprache an der Identitätsbildung.

 

Graf Albert Joseph Hoditz (1706 – 1778) als deutschsprachiger Autor

Iveta ZLÁ

Universität Ostrava

 

Der Beitrag zielt auf die Darlegung des literarischen Schaffens von Albert Joseph Hoditz (1706 – 1778) ab, der in die europäische Kulturgeschichte vor allem dank seinem kulturellen Engagement eingegangen ist. Sein literarisches Werk schließt Impulse der Barockliteratur sowie der sich durchsetzenden Aufklärung ein und ist von der deutschsprachigen Literatur Westschlesiens untrennbar.

 

Überlegungen zu Aspekten der Vielsprachigkeit im Lichte der programmatischen Einsprachigkeit von Paul Celan

Andrea BÁNFFI-BENEDEK

Christliche Universität Partium

 

Die Bedeutung, welche der Mehrsprachigkeit in Paul Celans Leben zukommt, ist vielfach dokumentiert worden. Bekannt ist auch die Tatsache, dass die Übertragungen des Autors aus mehreren Sprachen einen beachtlichen Teil des Gesamtwerks ausmachen. Nicht weniger bekannt ist aber auch die Skepsis des Autors gegenüber poetischer Vielsprachigkeit und seine Vorstellung von der Dichtung als das schicksalhaft Einmalige der Sprache. Liest man hingegen die Gedichte von Celan, fallen einem mehrere Stellen auf, wo Wörter oder fremdsprachige Zitate auftauchen. Im Mittelpunkt der Analysen steht die Frage nach dem Modus ihres Gebrauchs, nach der spezifischen Funktion dieser Elemente und nicht zuletzt die Frage nach dem Mehrwert, welche das Hineinweben von Fremdsprachen dem Gedichtinhalt verleihen kann.

 

 

Stefan George und Russland: Übersetzungsgeschichte

Elizaveta BURMISTROVA

St. Petersburger Staatliche Hochschule für Kultur

 

In Russland war das Schaffen des deutschen Symbolisten Stefan George (1868-1933) wenig bekannt, was sich auch in der Anzahl der Übersetzungen der Gedichte von George widerspiegelte. Der erste Versuch, die Dichtung von George ins Russische zu übersetzen, ist das 1907 in der Übersetzung von W. Iwanow erschienene Gedicht “”Der Herr der Insel“; Iwanow gelang es, den Inhalt des Textes und seine stilistischen Merkmale sehr genau wiederzugeben. Einen Beitrag zum “”russischen George”” haben die russischen Dichter des Symbolismus – W. Brjusow, B. Elsner, G. Zabezhinskij, A. Bisk – geleistet. In der Sowjetzeit unterbrach die Tradition der George-Übersetzung, denn Ästhetizismus und Formalismus der Lyrik von Stefan George passte nicht in das Konzept des sozialistischen Realismus. Die “Rehabilitation” von Stefan George in der Sowjetunion begann mit der Aufnahme seiner Gedichte in die Anthologie “Westeuropäische Poesie des XX Jahrhunderts” (1977). Die Übersetzer W. Mikuschevitsch und A. Steinberg modernisierten und vereinfachten die Bilder sowie die von George verwendeten Stilmittel. Mit dem Wechsel des politischen Regimes begannen in den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts einige seiner Gedichte in Anthologien der europäischen und deutschen Dichtung zu erscheinen. 2009 erschien der Band mit Übersetzungen dreier poetischer Zyklen Georges – “”Das Jahr der Seele””, “”Der Teppich des Lebens”” und “”Der siebente Ring”” – von W. Letutschij. Die modernen Übersetzer wenden sich an wenig bekannte Werke Georges, integrieren die Eigenschaften ihres eigenen poetischen Stils in die Übersetzung von Georges Gedichten. Da viele der modernen Übersetzer Georges Germanisten sind, erhöht es wesentlich die Qualität der Übersetzung. Zu den Herausforderungen für moderne Übersetzer Georges zählen die Übersetzung der wenig bekannten Werke des Autors und die Vorbereitung der gesammelten Werkausgabe des Dichters in russischer Sprache.

 

Die Autobiographie als Zeitdokument? Elias Canetti und Wien

Marianna BAZSÓNÉ SŐRÉS

Universität Miskolc

 

Elias Canettis Autobiographie mit ihren drei Bänden „Die gerettete Zunge. Geschichte einer Jugend“ (1977), „Die Fackel im Ohr. Lebensgeschichte 1921-1931“ (1980), „Das Augenspiel. Lebensgeschichte 1931-1937“ (1985) ist das Selbstporträt eines europäischen Bürgers par exellence. In den drei Bänden der Autobiographie tauchen Gesichter und Gestalten aus Canettis Vergangenheit auf, denen der Autor durch seine Gespräche mit ihnen und die sich daraus ergebenden Spiegelungen in seinem Gedächtnis im Werk eine zweite Existenz ermöglicht. Einen nicht geringen Teil nehmen in der Autobiographie neben den zentralen Lebensthemen die Personenporträts ein, die das Textganze durchweben und somit entscheidend zur inhaltlichen und gestalterischen Kohärenz des Textes beitragen. Gleichzeitig bekommen wir ein Bild über das Wien der Zwischenkriegszeit, über historische Ereignisse wie den Brand des Wiener Justizpalastes am 15. Juli 1927 oder durch die Bekanntschaft mit Dr. Abraham Sonne über die Wiener Kaffehauskultur. Einen Schwerpunkt des Beitrags bildet die Frage, ob und wieweit die Autobiographie von Elias Canetti – trotz der für ihn so charakteristischen Arbeitsmechanismen wie Verschweigen, Wegsehen und Aussparen – als Zeitdokument betrachtet werden kann. Wahrheit und Fiktion sind grundlegende Merkmale einer jeden Autobiographie, aber es sagt viel über den Charakter der Autobiographie, wie objektiv der Autor vergangene Ereignisse aus der Perspektive der Gegenwart darstellt und interpretiert. Wenn man die einzelnen Fakten und Personen bei Canetti genau recherchiert, erkennt man, dass Canetti sehr frei mit Namen und Fakten seiner Erinnerung umgegangen ist, dass er Namen verändert oder verwechselt hat, d.h. die Autobiographie in Sachen Fakten und Personen eine Erscheinung aufweist, die wir als Wirklichkeitsschwund bezeichnen könnten. In meinem Beitrag möchte ich untersuchen, ob dieser Wirklichkeitsschwund die Erinnerungen an das Wien der 20-er Jahre betrifft und ob wir den Text als Dokument dieser Zeitepoche betrachten können.

 

Die Verortung des Gedächtnisses in der deutschsprachigen Literatur Siebenbürgens und des Banats

Szabolcs János

Christliche Universität Partium

 

Unter dem übergreifenden Horizont des „spatial turn“ und dann des enger gefassten „topographical turn“ haben sich Topographie und Geographie zu äußerst produktiven literaturwissenschaftlichen Paradigmen entwickelt. Der topographisch orientierte Fokus führt im Hinblick auf die deutsche Literatur Siebenbürgens und des Banats zu einem eindeutigen Ausgangsbefund: die Literatur der Siebenbürger Sachsen und der Banater Schwaben ist in signifikanter Weise gekennzeichnet von Bezügen zu Räumen, Orten und zu Landschaften. Diese Feststellung steht auch am Anfang einer Rezeptionsgeschichte, die einen engen Konnex zwischen den Autoren und Region zementiert hat und das Klischee einer isolierten, konservativen Heimatliteratur einbrachte. Die deutsche Literatur Siebenbürgens und des Banats hat sich in vielerlei Hinsicht räumlich orientiert, expliziert und verortet; mannigfache Regionalbezüge und eine vielförmige Verarbeitung des Themas „Siebenbürgen“ und „Banat“ sind offensichtlich, die in dem geplanten Vortrag exemplarisch an Werken der deutschsprachigen Regionalliteraturen vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart analysiert werden.

 

Eine Filmstory von Friedrich Dürrenmatt: vom Drehbuch wird auch ein Kriminalroman

Renata-Alice STOICU-CRISAN

Christliche Universität Partium

 

Seit dem Ende der 90er Jahre lässt sich im Rahmen der Gegenstandserweiterung der Erzähltheorie auch eine Grenzüberschreitung von einer literatur- und sprachbasierten zu einer trans- oder multimedialen Narratologie nachweisen. Die medienspezifischen Möglichkeiten und die transmediale narratologische Forschung sind noch ziemlich gering, aber die zentralen Konzepte wurden anhand der Erzählliteratur entwickelt. Als Beispiel für die praktische Untersuchung des transmedialen Vorgehens kann eine solche literarische Gattung analysiert werden, die in den letzten Jahrzehnten bedeutende Fortschritte gemacht hat. Diese Gattung ist der Krimi, der seine gattungsspezifische Forschungsgeschichte in den 70er Jahren begründete. Die Kriminalromane Friedrich Dürrenmatts weisen eine konträre Haltung gegenüber dem traditionellen Erzählstil der Krimis auf. Seine Kriminalromane wurden oft als Anti-Krimis oder als anti-aufklärerisch bezeichnet. Dürrenmatt baute systematisch Zufallsfaktoren zum Vor- oder Nachteil der handelnden Personen ein, um den Ablauf  unvorhersehbare Wendungen zu geben, denn er vertrat die Meinung, dass der Wirklichkeit mit Logik nur teilweise beizukommen sei. Er versuchte Gut und Böse miteinander zu verweben, um die problembehafteten Ermittler auf ihre Art die Gerechtigkeit zu üben lassen. Das von Dürrenmatt geschriebene Drehbuch zu dem Film Es geschah am helllichten Tag (Regie: Ladislao Vajda) sollte der Ausgangspunkt zu seinem dritten Kriminalroman werden: Das Versprechen (erschienen 1958). Der Roman wurde als Gegenentwurf zum Drehbuch konzipiert und trug den bezeichnenden Untertitel: „Requiem auf den Kriminalroman“. Dieser Untertitel zeigt eine indirekte Auseinandersetzung mit dem Genre des Kriminalromans. Dürrenmatt bedient sich eines beliebten Genres, aber er nutzte sie als populäre Form, die es mit neuen Inhalten zu füllen oder zu unterlaufen galt. Der Untersuchungsgegenstand des Beitrags werden die narrativen Techniken des literarischen Werks und des Films und die damit verbundenen spezifischen Möglichkeiten und Grenzen beider Medien.

 

Parzival und Perceval im Vergleich: die Entwicklung einer Weltanschauung

Ruth LÉVAI

Universität Miskolc

 

Obwohl Chrétien de Troyes und auch Wolfram von Eschenbach es nötig finden, das Bild des Rittertums in einer geistlichen Entwicklung einzurahmen, spürt man einen feinsinnigen Unterschied zwischen den Vorstellungen der beiden Schriftsteller im Bezug auf das Ende. Ist Chrétiens Caritas wirklich dasselbe wie Wolframs innerlich gefestigte Licht? Inwiefern haben die zwei Autoren eine gemeinsame Vorstellung von dem Christlichen? Warum hat Wolfram Chrétiens Version geändert? Inwiefern funktionieren diese Geschichten als ein Guckfenster in das mittelalterliche Leben?

 

Die ontologische Bedeutung der Geschlechtswahl der Erzählinstanz in Ricarda Huchs Erstlingsroman

Karl Vajda

Selye János Universität

 

Der Beitrag stellt sich der Frage, warum die tragische Lebensgeschichte einer Frau im Roman einer Schriftstellerin ausgerechnet von einer männlichen homodiegetischen Erzählinstanz heraufbeschworen wird. Diese vorzugsweise exegetische Frage impliziert eine Reihe gender- und literaturtheoretischer Fragen, die das Konzept des sozialen und des natürlichen Geschlechts gegeneinander ausspielt und die sublimitale Vereinnahmung genderspezifischen Fragen durch produktionsästhetische Theorien vor Augen führen. Zudem wird die Möglichkeit einer ontologischen Begründung der Genderspezifik erwogen.

 

Narrative Aspekte der Identitätskonstruktion in Melinda Nadj Abonjis Roman Tauben fliegen auf

Tünde Paksy

Universität Miskolc

 

Melinda Nadj Abonjis Roman, Tauben fliegen auf handelt nicht nur von den Schwierigkeiten der Einbürgerung der Emigrantenfamilie aus der Vojvodina in der Schweiz, von Aufgabe, Bewahrung und Bildung familiärer, kultureller und historischer Gebundenheiten, sondern auch von der Identitäts- und Ichfindung der feinfühligen Ich-Erzählerin. Dieser Prozess ist zum einen über die neben- bzw. nacheinandergestellten Handlungsabschnitte zu verfolgen, die trotz der steten Wechsel der Zeitebenen und Themen insgesamt dennoch ein deutliches Bild des Familienschicksals vermitteln. Zum anderen ist dieser Prozess auf der Ebene der Erzählung durch den kaum betonten und weniger auffälligen Wechsel der Erzählmodi bei Beibehaltung der gleichen Erzählinstanz markiert. Der Beitrag setzt sich das Ziel, diesen Prozess zu beschreiben und Parallelitäten und Gegenläufigkeit der Identitätskonstruktion auf der Ebene der Geschichte und der Erzählung nachzuforschen.