GRAMMATIKTHEORIE UND GRAMMATIKUNTERRICHT

Satzmodus: Semantik versus Pragmatik

Peter ÖHL
Tübingen/Wuppertal

Da in herkömmlichen Grammatiken die Behandlung von Satzarten wie Aussagesatz, Fragesatz, Aufforderungssatz, Wunschsatz und Ausrufesatz wegen der Vermischung von Funktions- und Formtyp oft etwas unsystematisch erscheint, wurden in neueren Grammatikmodellen verschiedene Versuche unternommen, modale Eigenschaften von Sätzen (“Satzmodus”) den formalen Merkmalen entsprechender “”Satztypen”” zuzuordnen. Doch auch hier bleibt die Schwierigkeit bestehen, Form und Funktion hinlänglich gegeneinander abzugrenzen. Ziel dieses Vortrags ist es, zunächst pragmatische, semantische und syntaktische Eigenschaften der erwähnten Satzarten herauszuarbeiten und dann verschiedene Modelle der Systematisierung und Erklärung von “Satzmodi” und “Satztypen” zu vergleichen und zu diskutieren. Hierbei werden Daten aus unterschiedlichen Sprachen mit dem Deutschen verglichen.

Wortklassen und Funktionen. Zur Typologie deutscher Adjektive, Adverbien und Partikeln

Michel LEFEVRE
Université Paul Valéry – Montpellier 3

In diesem Beitrag sollen einige Erkenntnisse aus der französischen Germanistik vorgestellt werden, zu denen insbesondere die Abkehr von der Klassifizierung einzelner sprachlicher Einheiten in endgültig festgelegte Wortklassen gehört. Es wurde vielmehr angestrebt, insbesondere für Adjektive, Adverbien und Partikeln, eine funktionale Klassifizierung anzustreben. Dieser Ansatz erschien in der französischen Germanistik als heuristisch und erlaubte es, bestimmte Einheiten effizienter in ihrem Kontext zu beschreiben. Allerdings scheint die deutsche Grammatikforschung auf diesem Gebiet eine traditionelle Einstellung beibehalten zu wollen, was zuweilen zu Verständnisproblemen zwischen deutschen und französischen Sprachwissenschaftlern führt, ja sogar die jüngere Generation der französischen Germanisten zu einer Rückkehr zu traditionellen Bezeichnungen verleitet. Hier sollen am Beispiel einiger Einheiten wie allerdings, jedenfalls, ohnehin, etc. die funktionale Kategorisierung den Teilnehmern des Kongresses nahegelegt werden.

Modal particles in embedded polar questions

Kerstin SCHWABE
ZAS Berlin

The talk presents a study on the German discourse particles denn, nicht, überhaupt, wohl, etwa, and schon that occur in embedded interrogatives alone or in combination (1a-e) and (2a, b). German discourse particles in interrogatives are mainly investigated with respect to main clauses (Doherty 1987, Kwon 2005, Coniglio 2011, Bayer 2012). As for discourse particles in embedded interrogatives, they are discussed only marginally (Doherty 1987, Coniglio 2011). The talk is based on a corpus-based data base that contains about 900 interrogative embedding predicates. It shows that nicht and etwa are restricted to embedded ob-clauses and that schon only occurs in wh-clauses. And it partially confirms Krifka’s (2001) suggestion that embedded questions with discourse particles relate to question intensions in terms of Gronendijk and Stokhof (1982) – cf. (1a-e) and (2a, b). It will be shown that discourse particles in these embedded question intensions {σ, σ} indicate direct interrogative force ‘QUEST{σ, not σ}’, that is, that the embedded clause exhibits a Force-Phrase. Furthermore, it will be discussed how the discourse particles determine the interaction between QUEST{σ, -σ}, the matrix predicate and the matrix subject and how an indirect speech act interpretation (assertion) results if there is any. Predicates that embed QUEST{σ, -σ} with discourse particles denote, for instance, reports of direct question acts with a bias on -σ (1a) and (2a), of indirect speech acts with a bias on -σ (1b), activities in order to get an answer to the expressed question with a bias on σ (1c) or on -σ (1d), activities in order to realize a decision with a bias on σ (1e), and attitudes towards expected answers (2b). As for the discourse function of the particles, it will be shown that, for instance, denn indicates a bias of the embedded question {σ, -σ} on -σ and that -σ follows from a contextually given τ. As for embedded interrogatives {σ, -σ} with the particle nicht, the particle indicates a bias of the matrix subject towards σ.
(1) a. … Ihre Mitarbeiter werden ausgehorcht, ob es denn nun wirklich dabei bleibe, daß Hillary Clinton aufs Titelbild komme. DWDS BZ 1999
b. Als der Sonnenkönig ärgerlich erwiderte, ob er den Calvados etwa aus dem Ärmel schütteln sollte, meinte der Marquis, Viel leicht habe Majestät einen, in der Krone. DWDS Zeit 1973
c. Aus der Höhe des effektiven Jahreszinses kann er außerdem ersehen, ob er mit einem Kredit von seinem Geldinstitut … nicht besser fahren würde. DWDS BZ 1995
d. Sie grübelte ein Jahr lang darüber, ob sie überhaupt jemals wieder auf die Tour zurückkehren könne. DWDS BZ 2002
e. Ich will dafür werben, ob es nicht vielleicht doch heute eine Beschlussfassung von allen demokratischen Fraktionen geben könnte. IDS pmv 2010
(2) a. Dann saugt er an der Brasil und sinniert laut, was er denn schon groß brauche: Ein Bildhauerfrühstück mit Speck und Ei. DWDS BZ 1996
b. Nun bangen sie darum, wie lange ihre Zeitung wohl noch erscheinen wird. DWDS Zeit 1977
References
Bayer, Josef. 2012. From Modal Particle to Interrogative Marker: A Study of German denn. In: L. Brugè, A. Cardinaletti, G. Giusti, N. Munaro & C. Poletto (eds.), Functional Heads. Oxford University Press.
Coniglio, Marco. 2011. Die Syntax der deutschen Modalpartikeln. Ihre Distribution und Lizensierung in Haupt- und Nebensätzen. Berlin: Akademieverlag.
Doherty, Monica. 1987. Epistemic Meaning. Berlin Heidelberg New York: Springer Verlag
Groenendijk, Jeroen and Stokhof,Martin. 1997. Questions. In Handbook of Logic and Language, Johan van Benthem and Alice ter Meulen (eds), 1055-1124. Cambridge, Mass., Elsevier/MIT Pess, Amsterdam/ Cam-bridge, Mass.
Krifka, Manfred. Quantifying into question acts. Natural Language Semantics 9: 1-40.

Gebrauchstendenzen des Korrelates es im heutigen Deutsch

Gizella BOSZÁK
Christliche Universität Partium

Gegenstand des Beitrags sind Gebrauchstendenzen bzw. Vorkommensbedingungen des Korrelates es in Verbindung mit einem Subjektsatz im heutigen Deutsch. Im Jahre 2008 entstand zu dieser vieldiskutierten Fragestellung der deutschen Sprache eine umfangreiche Monographie. Seither zeigt sich im Deutschen eine Tendenz, die auf die „Vereinfachung” des Gebrauchs von Korrelaten hindeutet. Diese Aussage bildet die Hypothese der Arbeit, die im Rahmen des Stellungsfeldermodells sowie der Valenztheorie überprüft wird. Es wird also der Frage nachgegangen, wie sich das valenzbedingte Korrelat es in der Linearstruktur des komplexen deutschen Satzes nach beinahe zehn Jahren verhält. Mit Hilfe eines Flussdiagramms wird die Grammatikalität des Matrixsatzes überprüft, um über den Korrelatgebrauch im Matrixsatz Aussagen machen zu können, wobei die Korrelatverbindung (Korrelat – Nebensatz) als entsprechendes Pendant zu einer nominalen Ergänzung von der konstanten Valenz des verbalen Valenzträgers abhängig gemacht wird. Anhand empirischer Analysen sollten Gesetzmäßigkeiten festgestellt werden, die die Einordnung des Korrelates es im Jahre 2017 zu den obligatorischen, fakultativen oder unzulässigen Korrelaten ermöglichen.

Zum Zusammenhang zwischen Perfektivität und Faktivität im Polnischen

Karolina ZUCHEWICZ
Leibniz-Zentrum Allgemeine Sprachwissenschaft (ZAS), Humboldt-Universität zu Berlin

Die introspektive Bewertung polnischer Daten lässt eine systematische Korrelation zwischen perfektivem Aspekt eines einbettenden Verbs und der wahrheitsbezogenen Interpretation eines Komplementsatzes beobachten. Wenn ein imperfektives Matrixverb nicht inhärent faktiv ist, hat dessen Perfektivierung die ‚Steigerung‘ der Veridikalität (Der Komplementsatz ist wahr, diese Inferenz verschwindet aber unter Negation etc.) eines eingebetteten Satzes zur Folge. Ob es sich hierbei um Präsupposition, Implikation oder Implikatur handelt, wird durch die Verbsemantik mitbestimmt. Z. B. unterscheiden sich zwei perfektive Matrixverben: przewidzieć ‘voraussehen’ und przepowiedzieć ‘vorhersagen’ nur wenig in ihrer lexikalischen Bedeutung. Interessanterweise führen sie aber zu verschiedenen wahrheitsbezogenen Inferenzen der Objektsatzproposition. Nur im erstgenannten Fall haben wir es mit der Faktivität im eigentlichen Sinne zu tun: Der eingebettete Satz bleibt wahr, wenn das Matrixverb negiert oder wenn die Assertion als Frage umformuliert wird. Einen ganz interessanten Fall stellen perfektive Kommunikationsverben dar (sagen, informieren), wo die Wahrheit der Nebensatzproposition über die Diskursgegebenheit definiert wird und als konversationelle Implikatur zustande kommt. In meinem Vortrag werde ich zeigen, wie sich die Wahrhaftigkeit (realisiert als Präsupposition, Implikation oder Implikatur) als inhärente Komponente der Perfektivität integrieren lässt.
Quellen: Austin, J. 1962. How to do things with words. Oxford. Krifka, M. 2015. Bias in commitment space semantics: Declarative questions, negated questions, and question tags. Proceedings of SALT 25: 328–345. Öhl, P. 2017. Zur Akzeptanz der Einbettung von ob-Sätzen unter veridischen Prädikaten: Eine Hypothese bezogen auf epistemische Weltenmodelle – mit einem Seitenblick auf das Persische. Tagungsband der 25. GeSuS-Linguistiktage 2015 in St. Petersburg. Hamburg, 385–394.”

Je-desto-Satzgefüge als kanonische Verbzweit-Sätze

André MEINUNGER
ZAS (Leibniz-Zentrum Allgemeine Sprachwissenschaft)

Auf den ersten und auch auf den zweiten Blick sind je-desto-Sätze eine Herausforderung, wenn mal sie als kanonische Verbzweit-Strukturen analysieren will. Hier wird eine Analyse vorgeschlagen.

Weshalb lässt Schweizerdeutsch Variation in gewissen Bereichen der Morphologie zu und welche Rolle spielt dabei der syntaktische Kontext?

Manuela SCHÖNENBERGER
Universität Genf

Dieser Vortrag befasst sich mit morphologischer Variation in einem Dialekt des Schweizerdeutschen (Wilerdeutsch, Kanton St. Gallen, Ostschweiz). Es werden hier drei Bereiche vorgestellt, in denen sich Variation in diesem Dialekt nachweisen lässt: (i) die Verbform von go ‘gehen’ in der 1SG Präsens lässt zwei Realisierungen zu: i gang hai/i gòò hai ‘ich gehe nach Hause’, (ii) der indefinite Artikel im Neutrum kann als es oder e im NOM/AKK realisiert werden: es Chind/e Chind ‘ein Kind’, (iii) gewisse Nomina, deren Singular und Pluralform sich nicht unterscheiden, scheinen eine eindeutig markierte Pluralform zuzulassen: Ross ‘Pferd’ im SG, Ross oder Rösser im PL. Anhand von Spontansprachdaten von DialektsprecherInnen, die alle denselben lokalen Dialekt sprechen, wird untersucht, ob sich diese ähnlich verhalten oder ob sich ein Unterschied abzeichnet, der altersbedingt sein könnte. Zusätzlich wird untersucht, ob die morphologische Form, die verwendet wird, teils vom syntaktischen Kontext beeinflusst wird: z. B. wird go eher als gang verwendet, wenn das finite Verb in einem Hauptsatz (Verbzweit, in Cº) oder in einem Nebensatz (Verbend, nicht in Cº) auftritt? Alle Spontansprachdaten stammen aus einem vom Schweizerischen Nationalfond geförderten Projekt, das sich mit syntaktischer Variation im Wilerdeutschen befasst und u. a. untersucht, ob sich in irgendeinem Bereich ein Sprachwandel nachweisen lässt. Es wurden deshalb Spontansprachdaten von Gewährspersonen erhoben, die sich grob in drei Altersgruppen einteilen lassen: junge Gewährspersonen (20–30), Gewährspersonen mittleren Alters (45–55) und ältere Gewährspersonen (70+).