FEMINISTISCHE LITERATUR- UND SPRACHWISSENSCHAFT

Darf ein Weib Satyre dichten?  Gender und Poetik in den literarischen Texten deutschschreibender Autorinnen aus dem Gebiet der heutigen Slowakei um 1800

Ingrid Puchalová

Pavol-Jozef-Safárik-Universität

 

Im Blickpunkt folgender Studie steht die literarische und publizistische Produktion der deutschschreibenden Frauen um 1800, die dem Gebiet der heutigen Slowakei entstammten. Meine Forschungsintention richtet sich vor allem auf die literarische Produktion von Marie Therese von Artner. Marie Therese von Artner (1772 Schintau/Šintava – 1829 Agram/Záhreb) ist die erste, uns bekannte deutschsprachige Schriftstellerin und zugleich eine der bedeutendsten Autorinnen, die auf dem Gebiet der heutigen Slowakei geboren sind. In den Jahren 1806 bis 1815 lebte Artner auf den Schlössern der Familie Zay in Buscan/Bučany und Zay-Ugrocz/Zay-Uhrovec (heute in der Südwestslowakei, Kreis Trnava). 1800 veröffentlichte sie zusammen mit ihrer Jugendfreundin Marianne von Tiell (Neumann von Meißenthal) in Jena ihre erste Gedichtsammlung Feldblumen, auf Ungarns Fluren gesammelt von Minna und Theone, die 1808 nachgedruckt wurde. In ihren literarischen Texten reflektiert Artner sehr intensiv ihr Dasein als Frau und Autorin. Literarische Texte werden in der Studie als spezifische Formen kultureller Repräsentation verstanden, die die Praktiken sozialer Gruppen demonstrieren und kommentieren. Ausgehend von Genderstudien und literaturtheoretischen Perspektiven sollen unterschiedliche Dimensionen der Weiblichkeit und des weiblichen Schreibens um 1800 untersucht werden. Gesucht werden Antworten auf die Fragen wie z.B., wie Frauen miteinander umgehen, welche Sprache sie sprechen, welches Selbstbewusstsein sie innerhalb der Gesellschaft entwickelt haben und wie dieses Selbstbewusstsein in der Struktur und Sprache des Textes reflektiert wird, kurz, wie Frauen sozialisiert werden. Sie entsteht im Rahmen des wissenschaftlichen VEGA-Projektes Diskursive Ansätze für die literarische Historiographie: Einblicke in das Schaffen gewählter deutschschreibender Autorinnen (vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart).

 

Strategien weiblichen Schreibens im beginnenden 19. Jahrhundert am Beispiel von Caroline Pichler

Lucia LAUKOVÁ

Comenius-Universität Bratislava

 

Der Beitrag untersucht mit einem genderorientierten Ansatz Strategien weiblichen Schreibens im frühen 19. Jahrhundert am Beispiel von Texten Caroline Pichlers (1769-1843), die heutzutage als eine vergessene Autorin betrachtet wird, und ist zugleich ein Versuch um Reinterpretation dieser Autorin, die fast 200 Jahre für konservativ gehalten wurde. Analysiert wird vorwiegend der Briefroman Frauenwürde, da er eine Zeitlang für repräsentative „Frauenlektüre“ gehalten wurde. Es wird gezeigt, wie die Wiener Autorin mit Begriffen wie „Männlichkeit“ /„Weiblichkeit“ umgeht und wie sie diese konstruiert und definiert. Die Zeichnung der Männergestalten in Pichlers Dichtungen entspricht nicht ihrer Grundauffassung der männlichen Überlegenheit, und die auf der textuellen Ebene gepriesene männliche Vormundschaft entlarvt sich nur als eine Maskerade. Dieses subversive textuelle Verfahren – das gleichzeitige Ent- und Verwerfen eines Konzepts – ist für Pichler bezeichnend. Pichlers Frauen-Bilder reproduzieren auf den ersten Blick die Normvorstellungen der patriarchalen Ordnung und sind ein fester Bestandteil des „protective conservativism“ (Susanne Kord). Die performativen Akte der Geschlechterkonstruktion (wie Zittern, Erröten, blass Werden, ruhiger Gang, keusches Betragen, Senken des Blickes, Schweigsamkeit usw.) erweisen sich ebenfalls als Imitationen männlicher Vorstellungen. Zugleich bieten sie aber genügend Raum für subversives Verfahren seitens der Autorin. Es wird festgestellt, dass diese Texte viele Widersprüchlichkeiten enthalten, die auf keimende Aufbruchsversuche hinweisen und dass das darin vorkommende subversive Potential den erwachenden emanzipatorischen Impetus des weiblichen Schreibens in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts belegt.

 

Frauen als Tauschobjekte in Alfred Döblins Roman „Berlin Alexanderplatz“

Aleksandra ELISEEVA,

St. Petersburger Staatliche Universität

 

Die Analyse stützt sich auf das methodische Verfahren von Eve Kosofsky Sedgwick, das dem Werk des bekannten Strukturalisten Claude Lévi-Strauss entlehnt ist und zwar seiner Arbeit „Die elementaren Strukturen der Verwandtschaft“ („Structures élémentaires de la parenté“, 1949, dt. Übersetzung 1981), auf die sich zuvor schon Gayle Rubin in der Abhandlung „The Traffic in Women: Notes Toward a Political Economy of Sex“ 1975 berufen hatte. Es geht darum, dass Frauen in der patriarchalen Gesellschaft zu symbolischen Tauschobjekten werden, der Tausch finde statt, um die Bande zwischen den Männern zu festigen. So schreibt Lévi-Strauss: „The total relationship of exchange which constitutes marriage is not established between a man and a woman, but between two groups of men, and the women figures only as one of the objects in the exchange, not as one of the partners.“  Vergleichbare Frauentausche finden in Alfred Döblins Roman “Berlin Alexanderplatz” statt. Das ist die Geschichte mit Lüders, Biberkopf und der Witwe, die Situation mit Mieze und in der hyperbolisierten Form der permanente Frauentausch im fünften Buch. Es entstehen im Roman also keine festen Beziehungen zwischen Männern und Frauen, sondern Frauen tragen als Tauschobjekt der Stabilität und Intensität des Verhältnisses zwischen zwei Männern bei. Diese Befunde werden hier für die Analyse der Konstellation Franz Biberkopf – Reinhold  verwendet, die als eine der Manifestationen der engen Männerfreundschaft und somit der Homosozialität angesehen werden kann. Die Analyse trägt also der in der Forschung seit etwa den 1950er Jahren schwelenden Diskussion über Queer-Inhalte von Döblins Roman bei. Außerdem werden Passagen des Romans in Betracht gezogen, die das erwähnte Modell invertieren und den Mann als ein Tauschobjekt hinstellen, es geht dabei um das Dreieck Eva – Mieze – Biberkopf.